von Jakob Kneip
Die Deutsche Einzelmeisterschaft 2018 ist beendet, die Schachbretter sind abgebaut und die Hamburger Spieler sind zuhause in Hamburg angekommen und gehen wieder zur Schule. Aber wie war sie denn nun für uns, diese Meisterschaft?
Zuallererst: Wir konnten dieses Jahr leider keinen Meistertitel mit nach Hause nehmen. Nichtsdestotrotz haben unsere Spieler ihr Bestes gegeben und viele lange Partien ausgekämpft.
Beginnen wir bei den jüngsten Spielern. In der U10 sind unsere drei Jungs alle ziemlich dicht um ihren Setzplatz herum gelandet, trotz der weit verbreiteten Behauptung, dass in diesem Alter eine Setzliste nach DWZ noch nicht aussagekräftig ist. Arthur Krüger startete sehr stark mit 3,5/4 Punkten, verlor dann aber gegen einen gut vorbereiteten Gegner mit deutlich über 1700 DWZ. Arthur brauchte etwas, um sich davon zu erholen: Nachdem er die nächsten beiden Partien verlor, kämpfte er sich mit 2,5/4 in den letzten Runden nochmal nach vorne zurück. Arthur hat in diesem Turnier viel Schachverständnis und taktisches Vermögen demonstriert und auch abseits des Brettes eine vorbildliche Einstellung gezeigt. Belohnt wurde er dafür mit einem starken Ergebnis und einem soliden Ratingzuwachs. Timofey Itin und Romeo Malchereck, beide im letzten Drittel des Felds gesetzt, holten beide 4 Punkte aus 11 Partien. Timofey fehlte offenbar noch etwas Erfahrung und Abgebrühtheit und Romeo die Fähigkeit, längere Zeit über konzentriert stillzusitzen, aber all das sollte sich schlicht mit mehr Turniereinsätzen lösen lassen, sodass ich mir sicher bin, dass beide bald ihr volles schachliches Potential zeigen werden. Im U10w-Turnier wurde Hamburg von Ani Petrosyan und Milana Krasikova vertreten. Ani bleib mit 5,5/11 leider deutlich hinter ihren Erwartungen zurück, zeigte aber, dass sie bereits eine rundum ausgebildete Spielerin ist. Milana hingegen war eine von nur zwei Spielrinnen ohne DWZ in dem Feld, sodass ihre 3 Punkte ein stolzes Ergebnis sind. Bei ihr wurde sehr deutlich, dass sie bereits die Fähigkeiten dazu hat, ihre Gegnerinnen im Mittelspiel zu überspielen, aber auch, dass sie bisher nur Schul- und kein Vereinsschach gespielt hat: So verlor sie etwa eine Partie, da sie nicht wusste, dass ihre Gegnerin sich bei einer Bauernumwandlung auch dann eine Dame holen durfte, wenn die erste noch auf dem Brett war – und wenn die Gegnerin sich nur einen Turm hätte holen dürfen, wäre die Stellung sogar gewonnen für Milana gewesen. Mein Eindruck jedenfalls war, dass Milana durch dieses Turnier viel Lust auf Vereins- und Turnierschach bekommen hat und, wenn sie weiter beim Schach bleibt, zu einer starken Spielerin heranwachsen wird.
Auch in der U12w sind unsere beiden Spielerinnen sehr dicht an ihren Setzplätzen gelandet. Charlotte Hubert holte sehr starke 2,5 Punkte in den ersten drei Runden, bekam dann aber mehrere starke Gegnerinnen in Folge und fiel auf 2,5/6 zurück. Zusammen mit 1,5 Punkten in der zweiten Turnierhälfte kam sie auf insgesamt 4 Punkte und den 33. Platz. Trotz der Verschlechterung um einen Platz gegenüber der Setzliste macht Charlotte ein Plus von 63 DWZ-Punkten: Durch den extrem starken Start hatte sie das gesamte Turnier über ausschließlich Gegnerinnen mit einem höheren Rating, in den meisten Partien um mehrere hundert Punkte. Sie hat also allen Grund zufrieden mit ihrem Abschneiden zu sein und sicherlich viel gelernt gegen all diese starken Gegnerinnen. Anna von Rosen konnte sich zwar „nur“ um zwei Setzplätze verbessern, von 40 auf 38, macht aber mit ihren 3,5/11 Punkten ebenfalls ein massiges DWZ-Plus in Höhe von 101 Punkten. Anna spielte durchweg solides Schach und holte mit insgesamt fünf halben Punkten die meisten Remisen der Delegation. Bei den Jungs holten die Waschbären Isaac Garner und Felix Kort jeweils 6/11 Punkte und Huo Da sogar 6,5/11. Trotz dieser positiven Scores wird keiner der dreien wirklich zufrieden sein mit dem Turnier: Alle drei erwischten einen schlechten Start – Huo Da mit 0/3 den schlechtesten – und obwohl sie sich noch zu Ergebnissen über der 50%-Marke kämpfen konnten, geschah dies gegen eher schwächere Gegner. Isaac schaffte es ab Mitte des Turniers sogar konsistent in der Nähe der Spitzenbretter zu spielen, verlor aber die elfte und letzte Runde und rutschte dadurch nochmal ein ganzes Stück nach hinten. Schachlich sind alle drei der HSK-Jungs auf einem guten Weg, lediglich die Turnierdisziplin auf solchen großen Turnierreisen muss sich noch stark verbessern: Wer nicht schläft, der nicht gewinnt.
Auch die U14-Jungs werden überwiegend unzufrieden sein mit ihrem Abschneiden: Alle drei HSK-Spieler liefen wesentlich unterhalb ihres Setzplatzes ins Ziel ein. Die meisten Punkte der dreien holte Michael Kotyk, welcher nach einer ersten Turnierhälfte mit 1/5 Punkten nachvollziehbarerweise die Motivation verloren hatte. Dies äußerte sich unter anderem in Form von 1…Sa6 in seiner sechsten Partie, in der er immerhin ein Remis holte. In der nächsten Runde gewann er kampflos, da sein Gegner krank geworden war, und legte sich in den letzten beiden Runden nochmal richtig ins Zeug, um mit zwei Siegen bei 50% zu landen. Trotzdem hat ihn das Turnier reichlich DWZ gekostet. Nächstes Mal wird’s bestimmt besser! Einen halben Punkt hinter Michael landete Jakob Weihrauch, dessen Turnier umgekehrt verlief: Der Start mit 3/4 Punkten gelang ordentlich, nur danach lief es nicht mehr rund. In der zweiten Turnierhälfte holte Jakob lediglich zwei halbe Punkte, und landete damit auf Platz 28. Durch diese schwache Endphase mag Jakob enttäuschter von seinem Turnier sein als nötig, denn er hat sicherlich kein schlechtes Schach gespielt. Am wenigsten zufrieden aber wird Heiko Klaas sein, welcher in den ersten sechs Runden alle sechs Partien verlor. Heiko war ungefähr im Mittelfeld gesetzt, aber die U14 der DEM ist nun mal ein starkes Feld, in dem auch die ganz hinten gesetzten Spieler noch sehr bissig sind. Hierdurch bekam Heiko nie die nötige Ruhepause, um sich von seinen Niederlagen zu erholen. Erst ganz kurz vor Schluss gelang ihm dann endlich ein Sieg. 1,5/9 Punkte sind jedenfalls nicht repräsentativ für Heikos schachliches Können. Der einzige Hamburger der U14 mit einem positiven Ergebnis ist der unter den Hamburgern Letztgesetzte Florian Popist, der mit 5/9 ein leichtes Ratingplus einfahren konnte. Florian konnte beider seiner Partien gegen schwächere Spieler gewinnen und holte dazu noch 3/7 gegen teils deutlich stärkere Gegner, was auch an seinem kämpferischen Spielstil liegt, von dem ich hoffe, dass er ihn auch in Zukunft behält. In der U14w konnte Sofia Li, Weisse Dame und damit Florians Vereinskameradin, zwar nur 1,5 Punkte aus 9 Partien holen, aber das genügte schon um ihren Setzplatz zu halten: Vorletzte – keine rote Laterne. Sofia gewann ihre Partie gegen die Letztgesetzte der U14w souverän und holte darüber hinaus noch ein Remis gegen eine Spielerin mit 550 DWZ-Punkten mehr. Besonders auffällig bei ihr war ihre wissbegierige Art in der Vorbereitung: Stets wurde ein großer Zettel mit Varianten und Anmerkungen vollgeschrieben, und bisweilen bekam ihr Trainer nach der Vorbereitung noch einen schriftlichen Fragenkatalog zu den einstudierten Varianten.
Ebenfalls ein sehr gutes Turnier spielte Henrike Voß in der U16w, die wie Sofia in der U14w an der vorletzten Stelle gesetzt war, aber nach neun Runden stolze 4 Punkte vorweisen konnte. Tatsächlich verlor Henrike nur vier Partien, und in allen bis auf einer davon war sie ihren Gegnerinnen auf dem Papier um 200 Punkte oder mehr unterlegen. Dank mehrerer solider Remisen konnte sich Henrike am Ende über ein nettes Plus von 60 DWZ-Punkten freuen. Die drei Spieler der Hamburger Delegation in der U16 konnten zusammengerechnet genau ihre Startplätze halten: Henning Holinka verbesserte sich von 15 auf 14, Jakob Pajeken startete und endete auf Platz 5, und Luis Engel rutschte von Platz 1 auf Platz 2 ab. Letzteres ist besonders schade, da wir (und sicherlich auch der HSK) bei Luis auf einen Titelgewinn gehofft hatten. Henning jedenfalls spielte kompromissloses Kampfschach und wurde dafür mit einem Remis sowie jeweils vier Siegen und Niederlagen belohnt. Jakob holte starke 5,5/9 mit nur einer einzigen Niederlage, nämlich in der letzten Runde gegen Luis, welcher damit in der ersten Runde Henning und in der letzten Jakob als Hamburger bekam und schlug. Bei Luis hingegen lief es nicht ganz wie geplant: Er gab innerhalb der ersten fünf Partien drei Remisen ab, wodurch er in den folgenden Runden nicht mehr an Brett 1 spielen durfte, da ihn einer der Spieler überholt hatte, gegen die er remis gespielt hatte. Dieser holte dann wie Luis 7/9 Punkte, hatte aber die bessere Buchholz. Hierbei war es von entscheidender Bedeutung, dass die Buchholz mit einer Streichwertung berechnet wurde: Luis Konkurrent und U16-Meister David Färber hatte nämlich einen seiner Punkte kampflos erhalten, was sich dann aber nicht negativ auf seine Buchholz auswirkte. Sehr ärgerlich jedenfalls für Luis, der ungeschlagen blieb und in den letzten drei Runden auch nochmal drei volle Punkte holte.
Ein solides Turnier lieferte Tom Woelk in der U18 ab. Seine zwei Partien gegen schwächere Spieler gewann er souverän, und in den anderen Partien musste er sich nur zwei 2300ern geschlagen geben. Die restlichen fünf Ergebnisse waren allesamt Remisen, wobei einige der Stellungen ihm vielleicht noch etwas mehr versprochen haben könnten. Mit 50% hat Tom sowohl sein Rating als auch seine Platzierung im Turnier ein gutes Stück weit verbessern können. Drüben in der U18w wurde Hamburg von Teodora Rogozenco auf dem zweiten Startplatz sowie von Aliyah Schmidt auf dem vorletzten vertreten. Teodora erwischte leider kein gutes Turnier und gab in den ersten vier Runden bereits zwei volle Punkte an deutlich schwächere Spielerinnen ab. Danach kämpfte sie sich wieder nach oben, bis sie in der vorletzten Runde an Brett 1 gegen ihre Konkurrentin Fiona Sieber spielen durfte. Zu diesem Zeitpunkt hatte Fiona bereits 7/7 und stand als Meisterin fest. Teodora konnte Fiona ebenfalls nicht aufhalten, sodass diese mit 100% Deutsche U18w-Meisterin wurde – ein phänomenales Ergebnis. Teodora landete durch die Niederlage kurz vor Schluss am Ende auf Platz 8. Als Titelverteidigerin hatte sie sich sicherlich mehr ausgemalt. Aliyah andererseits konnte erfolgreich die rote Laterne abwehren und sich sogar um zwei Plätze nach vorne schieben. Mit 3/9 Punkten hat sie weit oberhalb ihrer Zahl gespielt und unter anderem eine Gegnerin mit 400 Punkten mehr geschlagen. Die 3 Punkte sind bereits genug, damit Aliyah in der U18w von allen Spielerinnen das höchste DWZ-Plus erwirtschaftet hat.
Zwei weitere Hamburger spielten in den offenen Turnieren mit: Robert Engel lieferte in der ODJM-A mit 5/9 eine solide Performance in einem starken Feld ab, und Jakob von Rosen holte in der ODJM-B ebenso 5/9, aber hiermit etwas mehr Ratinggewinn als Robert. Beide spielten das Turnier über inspiriertes und konzentriertes Schach.
Unterm Strich hat Hamburg sich gut geschlagen, auch wenn insbesondere die Hoffnungsträger auf Titel diese Hoffnungen nicht erfüllen konnten. Lediglich in der U12 und der U14 (mit Ausnahme Florians) haben wir größere Ratingverluste und schlechte Turnierverläufe zu verzeichnen. Insgesamt stimmt diese DEM optimistisch was den Nachwuchs betrifft. Aber obwohl die DEM das wichtigste Jugendturnier des Jahres ist, ging es in Willingen natürlich nicht immer nur um Schach. So wurde reichlich Tennis, Tischtennis und Fußball gespielt. Unser Schwimmausflug am Dienstagnachmittag musste leider ausfallen, da das Lagunenbad in Willingen wegen eines Gewitters gesperrt war: Dank der eigentlich sehr empfehlenswerten Außenrutsche. Die hohe Rundenzahl auf der DEM sorgt dafür, dass nur an wenigen Vor- oder Nachmittagen die ganze Gruppe gleichzeitig Zeit hat. Donnerstagvormittag war es wieder soweit und wir konnten schwimmen gehen. Schließlich gab es am Samstagnachmittag noch einen Ausflug zur Sommerrodelbahn, wo jeder (inklusive Betreuer) so schnell wie möglich den Hang hinunterrodeln durfte.
Während der Partien wurde in jeder Runde einer unserer Spieler vom diesjährigen Team-Maskottchen Son Gohut unterstützt. Das klappte auch wunderbar; Son Gohut machte meiner Zählung nach den höchsten Score aller Hamburger. Leider wurde er zweimal nach der Runde am Brett zurückgelassen und musste gesucht werden. Son Gohut war übrigens nicht die auffälligste Begleitung am Brett von DEM-Spielern: Neben etlichen Kuscheltieren und Kuschel-Etwasen gerade in den jüngeren Altersklassen gab es auch Begleiter wie einen ganzen Kopf Salat, eine Taschenlampe (wenn ich richtig gesehen habe) sowie einen kleinen, leeren Blumentopf. Nun, solange man damit besser spielt, sei es jedem selbst überlassen. Lediglich die Spielerin, deren Mitbringsel aus einem Bund mehrerer kleinen Glöckchen (offenbar von Schoko-Osterhasen) bestand wurde vom einem Schiedsrichter darauf aufmerksam gemacht, dass das bei einem Schachturnier vielleicht nicht der beste Glücksbringer ist – besonders wenn besagter Bund Glöckchen zum Zuschauen an anderen Brettern mitgenommen wird.
Neben den Spielern war Hamburg natürlich auch mit einem starken Aufgebot an Betreuern dabei. Neben mir [Jakob Kneip] als Delegationsleiter waren Jürgen Bildat, René Mandelbaum, Ole Poeck, Berthold Riering und Torben Schulenburg als Landesbetreuer sowie Georgios Souleidis und Pia Wachowiak als Privattrainer mit in Willingen. Vielen Dank an dieses tolle Team! Alle genannten haben sich wunderbar eingesetzt und die Kinder schachlich und nichtschachlich hervorragend betreut. Insbesondere möchte ich mich bei allen bedanken, die mich während meines krankheitsbedingten Ausfalls zum Ende der Reise hin unterstützt und mir etliche Aufgaben abgenommen haben! Mit dieser Delegation war die DEM 2018 nicht nur ein großes und wichtiges Schachturnier, sondern auch eine tolle Gruppenreise.